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Der Samba der Sambaschule Imperatiz,
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Samba, was erwartet man nicht alles hinter diesem Wort.
Schnelle und zum Tanzen animierende Rhythmen, fast nackte und schöne
schwarze Frauen, Farbenvielfalt der Kostüme.
Alles irgendwie wahr und doch ist es so anders.
Den ersten bloquo, ein Wagen mit sehr lauter Musik, den Sängern
und der Rhythmusgruppe obendrauf, erlebte ich an der Copacabana. Im Schneckentempo hinter dem
Wagen tanzt sich die Menschenmenge vorwärts. Leib an Leib,
Körperflüssigkeiten vermischen sich, Schweiß und unbekannte
Küsse. Wie Ausschnitte aus einem schnellen Film passieren die Szenen
meinen Augen. Sexy, knapp bekleidete Frauen, die ihren noch knapper bekleideten
Hintern sehr anregend zur Musik bewegen, Touris, die auf- und abhüpfen,
zwei Männer - in meinem Alter etwa - die einen kleinen Jungen zusammenschlagen
(und alle schauen weg), weißer Sandstrand und Thermometer, die irgendetwas
zwischen 25° und 35° anzeigen - sehr heiß auf jeden Fall,
alle mitsingend.
Die Musik ist auf jeden Fall die erste Überraschung. Als ungeübter
Europäer ist es sehr schwer, den komplizierten Rhythmus herauszuhören.
Dadurch wirkt die Musik auf den ersten Blick eher fade. Aber die Stimmung
ist ansteckend. Jeder bloquo hat ein Lied, das unentwegt wiederholt wird,
ohne Pause. Da die Liedtexte verteilt werden, singen alle lauthals mit,
mehr oder weniger falsch, da dies hier und jetzt völlig egal ist.
Der Höhepunkt des Carnavals in Rio - für Touristen - ist zweifellos
das Sambódromo. Eine Art Fußballstadion, wobei einer
vergessen hat, die Runden einzubauen. Etwa ein Kilometer lang schlängelt
und tanzt sich jede Schule durch das Sambódromo. Das ganze dauert
pro Schule etwa 90 Minuten, mit dem gleichen Lied(!).
An die 4000 Tänzer pro Schule, eine unglaubliche
Vielfalt und Reichhaltigkeit an Kostümen ziehen am Auge vorbei. Um
reinzukommen und nicht nur die zahlreichen Tänzer anzuschauen, die
sich überall in der Stadt bereit machen und mit dem Bus oder der Metro
mit dem gesamten Kostüm zum Zentrum des Sambas fahren, muss man sehr
wortgewandt sein, um eine Karte zu einem einigermaßen akzeptablen Preis
auf dem Schwarzmarkt zu erhalten. Karten gibt es im Vorverkauf nur nach
stundenlangen Anstehen.
Also muss man sich durch die Menschenmenge zwängen, die kaum Luft
zum Atmen lässt. Eindrücke, die am ersten Tag in Brasil nur schwer
zu verarbeiten sind, jagen einander. Bettler in Lumpen gekleidet, daneben
die Pracht der an die 10 Meter hohen Carnavalswagen, fliegende Straßenverkäufer,
die sich gegenseitig überschreien, Uringestank, daneben Fleischverkäufer,
schwitzende Menschenleiber und trotz der Hitze wunderschön verkleidete
Sambatänzer. Ich hätte es in so einem Kostüm keine 5 Minuten
aushalten, geschweige denn tanzen können. Mit Pelzhose, riesen Federhüten
oder auch mit so gut wie gar nichts ausgestattet. Vorne ein fünfmarkstückgroßes
Stoffteil, hinten Federn, Schuhe, Hut und sonst ... nichts.
Auch Striptease vor den Zuschauern, unter den gierigen Blick so gut
wie sämtlicher Männer, kommt vor. Was dann aber mit einer Nacht
im Gefängnis endet, da ein Fünfmarkstück dann doch Pflicht
ist.
Der Samba und die Rhythmusgruppe ist gewiss eines der lautesten Dinge,
die man im Leben hören wird. 500 bis 1000 Trommler lassen den Zuhörern
keine Wahl. Selbst die Kleinsten tanzen eifrigst mit, bewegen ihren Körpern
sehr lustvoll zu der Musik. Jeder hat eine Lieblingssambaschule, die Zugehörigkeit
ist fast schon Familientraditition, die er besonders kräftig unterstützt.
Denn neben der alegría, der Lebensfreude, ist bei dem ganzen Umzug
sehr viel Ernst und Geld im Spiel. Unzählige Ordner versuchen die
Tanzgruppen in einer gewissen Ordnung zu halten, einige ausgewählte
Tänzer, die den 'richtigen' Samba tanzen, mit Tanzschritten, die die
Beine fast unsichtbar lassen werden und die Geschichte, die mit dem Lied,
den Wagen und den Kostümen erzählt wird, werden von einer Jury
bewertet. Dem Gewinner ist viel Geld und (meist) die Sympathie der Cariocas
- die Einwohner Rio de Janeiros - sicher. Eine Mindest- und eine Maximaldauer
im Sambódromo muss eingehalten werden.
Die eben noch ausgelassene Freude und Sympathie kann aber auch sehr
schnell umschlagen. Der Gewinner dieses Jahr, Imperatriz
, soll nur Zweiter geworden sein. Zumindest nach der Meinung von Beija-Flor
(der die Blume küsst, also ein Kolibri) und der Mehrheit der Cariocas. Kaum wartet die Schule
vor dem Eingang, als auch schon gellende Pfiffe ein Reden unmöglich machen.
Alles, was irgendwie erreichbar ist, fliegt nach unten auf die Tanzpiste. Dosen, noch voll, Karton, etc. Die meisten
drehen sich um oder gehen
nach Hause. Im Gegensatz zu Beija-Flor, die fast zwei Stunden auf der Piste war,
traut sich Imperatriz nur 20 Minuten herein. Aber schon bald ist die Mehrheit beruhigt und einige
fangen sogar wieder an zu tanzen.
Die ganze Wut und die daraus folgende Kürze
des Umzugs war sehr schade, denn vor allem die Wagen sind äußerst prachtvoll.
In bis zu 10 Meter Höhe tanzen hübsche Frauen und Männer
wild zu der Musik. (Ich würde dem Aufbau ja nicht so vertrauen...).
Mit Wasserfällen, Feuer, Rauch, Kanonen, Sphinx und Menschen.
Von
20 Uhr bis nach dem Sonnenaufgang wird ein Wagen nach dem anderen durch
die Menge geschoben, ja wirklich geschoben. Am Ende der Piste dann ausgelassene Freude und
Müdigkeit. Das Kostüm wird vom Leib gerissen, ausgepumpt. Aber
schon bald hat der Glamour ein Ende. Von Müllmännern eingesammelt
oder in Tüten verpackt verschwindet die Farbenpracht. Die Helden von
eben steigen mit ein in die Metro, oft ganz arme Schlucker, deren ganze
Ersparnisse im Carnaval draufgehen. Und das vorwiegend für Touristen,
die das Geld haben, den Eintritt zu bezahlen (immerhin 20DM für den
billigsten Platz haben wir bezahlt). Was auch prompt harsche, fast rassistische Kritik in
den Zeitungen erntet, vor allem an der 'Plage Tourist' im Allgemeinen.
Was den Menschen aber nicht anzumerken ist. Überall in der Stadt wird gefeiert, mitten in den Wohnblöcken wird bis morgens die Anlage voll aufgedreht, die Straßen sind auch im Morgengrauen noch voller ausgelassener Menschen.